Albumproduktion - Woche 1

Es ist für mich die erste Albumproduktion, die ich in meiner Rolle als Produzentin und Begleiterin betreuen darf. Von Januar bis April verschwinde ich im Studio und darf Erfahrungen sammeln, auf die ich mich mein Leben lang gefreut habe: Man schließe Kreative mehrere Wochen in ein Studio ein und arbeite intensiv und abgeschottet von der Außenwelt an einem Album, das kraftvoll, ehrlich und einzigartig sein wird. Mit Konzept und allem. Man könnte sagen, ich lebe meinen Traum. Ich würde eher sagen, ich lebe meinen Traum, für den ich dachte, erst in 4 Jahren bereit zu sein. Aber allein die erste Woche hat mir gezeigt, wie richtig all das ist, was gerade passiert. Mir ist viel aufgefallen und ich durfte einiges lernen. Hier teile ich meine Gedanken der ersten Woche.

[ © Christin Nitzsche, ALL FLINTA Camp 2022, Castle Studios Röhrsdorf]

Ängste und Tiefenentspannung

In jeglichen Sessions und Meetings starte ich gerne mit einem kleinen Check-In. Dass ich das so nenne, ist noch relativ neu, denn vorher hatte ich dafür keinen Namen und auch nicht das Bewusstsein dafür, dass es das ist. Im Prinzip geht es darum, sich nicht gleich in die Arbeit zu stürzen, sondern im Raum anzukommen. Oft frage ich: “Wie geht es dir heute?”. Die Person weiß dann, dass wir uns die ersten 5 - 15 min Zeit nehmen, um die Frage für uns jeweils zu beantworten. Es geht nicht darum, sich in privaten Themen zu verlieren. Es geht darum zu wissen, was wir alles in den Raum mitbringen, wie viel Energie wir heute haben und ob wir eher kreativ und frei oder strukturiert und nach To-Do Liste arbeiten wollen. Es fühlt sich dann leichter an. Für einen selbst, weil man zu 100% im Raum ankommen darf und für das Miteinander, da wir uns gegenseitig sehen.

Manchmal kann es auch sein, dass wir mit konkreten Fragen, die auf das Projekt abzielen, starten. In unserem Fall haben wir (nach einem langen “Wie gehts dir?”) uns die Frage gestellt, mit welchen Ängsten wir in dieses Album starten. Das war nicht geplant, aber es entwickelte sich natürlich aus unserem Gespräch heraus. Und ich fand es war eine wunderbare Sache, vor einem großen gemeinsamen Projekt, mal alle Karten auf den Tisch zu legen.

Eine Angst, die wir alle genannt haben:  “So viel Potential. Das sehe ich nun und macht mir Angst.”

Sorgen und Ängste offen anzusprechen, kann Druck nehmen. Verschwinden werden sie nicht. Aber sie werden in Relation gesetzt, logisch hinterfragt und geteilt. “Ach! Dir geht es auch so?!” Und Schwupps, ist die Angst nur noch halb so groß. Und wir wissen ja auch, dass Ängste uns zeigen, woran wir wachsen dürfen. Oft schlummert da etwas Großes, dem wir längst gewachsen sind, wir aber zurückschrecken, da es unbekannt und neu ist. Macht ja auch vollkommen Sinn, denn wir haben keine Vergleiche oder Erfahrungen, aus denen wir schöpfen können. Diese gilt es jetzt erst zu sammeln. Also merke: Bevor man ein großes Projekt, wie eine Albumproduktion startet, kann es hilfreich sein, sich zu fragen, welche Ängste man mitbringt. Mitunter verbirgt sich da die größte Inspiration. 


EP oder Album

Der erste Tag endete damit, dass wir jegliche Songs (vor)spielten, die für das Album in Betracht kamen. Ein kleines Mini-Konzert mit fertig geschriebenen Songs, unfertigen Songs sowie Songschnipseln. Zu unserer Überraschung gab es bereits genügend Songs, um eine EP mit 5-6 Songs zu kreieren. Das war bis dahin der Plan, auch wenn für uns beide der Bergriff “EP” von vornherein nicht passte. Am Ende des Konzerts wussten wir aber, warum. Denn wir hatten 11 Songs gehört, die großartig waren und gemeinsam die Welt öffneten, die wir in den nächsten Wochen erschaffen wollten. Es werden also ein paar Songs mehr und wir wollen das, was wir hier erschaffen Album nennen, nicht EP.


Der eigene Sound

Ich bin sehr dankbar, dass wir den Vorschlag von meinem Lieblingstonmeister Max, die Sample-Library für das Album mit eigenen Samples aufzufüllen, umgesetzt haben. Und mit “eigene Samples” meine ich Samples, die wir selbst erzeugt haben und die niemand anderes verwendet. Sprich, wir nehmen Geräusche und Töne aus dem Studio auf, die wir später als Drums oder Effektgeräusche/Ear-Candy benutzen können. Sounds, die uns weiter in die Richtung der Klangwelt bringen, die wir uns vorstellen. Ge-pitched, ge-warped, reversed oder mit Audioeffekten komplett zerstört, bilden sie einen Sound, der einmalig ist und vor allem eins in die Produktion bringt: Lebendigkeit. Also ran an die Snacks, Notizbücher und Pullover! Lohnt sich!


Rollenverteilung im Studio

Die letzten drei Tage durfte ich mich wieder daran erinnern, warum mir das Thema Achtsamkeit im Studio so am Herzen liegt. Es ist essentiell, sich immer wieder zu fragen, ob man sich wohlfühlt. Auch wenn vieles oft organisch läuft, es sollte klare Rollen und Aufgaben geben, die einen zur Not auffangen können. Die folgenden Beschreibungen sind in keinem Fall vollständig, aber mir ging es um die Gegenüberstellung der Kernmerkmale. Ich finde, das vergisst man heutzutage doch schnell:

Da gibt es natürlich Künstler:innen/Artists, deren Aufgabe darin liegt, sich auszudrücken. Sie sind es, die im Prozess einer Produktion ihre Vision finden und entwickeln. Sie erzählen eine Geschichte, arbeiten Emotionen und Erfahrungen auf und bringen diese dann in eine Form, die sie teilen wollen. Auf dem Weg dahin möchten 20 verschiedene Möglichkeiten ausprobiert werden, bevor man sich für eine oder eine bestimmte Kombination entscheidet. Künstler:innen/Artists sind Erzähler:innen und Entscheider:innen zugleich. Sie bringen die Inhalte mit und treffen die letzte Entscheidung.

Und dann haben wir Produzent:innen, deren Aufgabe es ist, Möglichkeiten bereitzustellen, zu leiten und umzusetzen. Sie sind in der Rolle des Zu-Arbeitens, bis sich nach einigen Tagen gemeinsame Routinen entwickeln können und aus einer Vision eine gemeinsame Vision entsteht. Produzent:innen tragen meiner Meinung nach aber auch Verantwortung. Und zwar die Verantwortung, ein kreatives Miteinander zu pflegen und den entstandenen, meist sensiblen Raum vor äußeren Einflüssen zu schützen. Zu diesen äußeren Einflüssen zählen auch Menschen, die nicht an der Produktion direkt beteiligt sind. Aber auch diejenigen, die vielleicht erst zu einem späteren Zeitpunkt dazukommen. So zum Beispiel Instrumentalist:innen, Gastmusiker:innen, Manager:innen, Kolleg:innen und Freund:innen. Gerade zu Beginn einer Produktion befinden wir uns in einer Findungs- und Ausprobierphase, die nicht gestört werden sollte. Feedback von und Vergleiche nach außen haben hier nichts zu suchen.

In diesem Sinne verschwinde ich wieder ins Studio und mache auch hier erstmal die Tür für zwei, drei Wochen zu ;)

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Ergänzung: bei uns besteht eine Woche gerade aus 3 Tagen intensiver Sessions im Studio und 4 Tagen “Ruhe”/Nachbereitung/Alltag. Wir wollen zwischen absolutem Deep Dive und Durchatmen balancieren und das Potenzial von Distanz nutzen. Nach der ersten Woche kann ich aber bestätigen, dass es selbst mit 3 Tagen die Woche ein Vollzeit-Job ist und wenig bis kein Headspace für andere Projekte bleibt :)

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